Gedanken zum Stück
Was, wenn der reiche Europäer in die existenzielle Abhängigkeit einer illegal Geflüchteten gerät und auf ihre Hilfe angewiesen ist? Diese Frage lässt der Autor zum halluzinogenen Albtraum werden.
Er heisst Jesus Maria, sie Kali. So steht er auch für das Christentum mit seiner unrühmlichen Vergangenheit der Kreuzzüge, dem Streben nach Macht und Ausbeutung unter dem Deckmantel der Mission. Kali ist im Hinduismus die anarchische Göttin des Todes und der Zerstörung, ebenso der Erneuerung. Das Stück lotet den Konflikt dieses Aufpralls bis in die dunkle Vergangenheit aus und steht im aktuellen Brennpunkt des heutigen Europa. Ihre Miseren sind nachvollziehbar. Das macht den Stoff zugänglich und lässt ihn zum explosiven Zündstoff werden, der aufwühlt und anklagt: Ein Appell an die globale Menschlichkeit!
Das alte Kellergewölbe des turbine theaters ist wie geschaffen für das unheimliche Szenario dieser schicksalsträchtigen Begegnung. Der Müll der Zivilisation wird darin zum Nährboden von Giftgasen, ein Zuhause des Zerfalls, zum modernden Grab. Und doch gibt es den Punkt, an dem die Gewölbe ihre Bedrohlichkeit verlieren und zur Stätte der Geborgenheit werden, worin eine Wandlung stattfinden kann und Keime des Mitgefühls spriessen. Nebst Hass, Rache und Gewalt bilden Oxide eigentümliche Blumen der Gnade, Reliefs der Menschlichkeit, die sich mit den Fresken der alten Katakomben verbinden, gemalt im Glauben an die Erlösung vom menschlichen Elend. So wird auch die Düsternis der Aufführung mit Klängen, Musik und Projektionen aufgehellt, damit von innen heraus wachsen kann, woran es aussen mangelt.
Das Augenmerk liegt auf der zwischenmenschlichen Beziehung von Jesus Maria und Kali, der Komplexität ihrer Situation und damit dem Schauspiel, das in der Besetzung von Indiana Ballan als «Kali» und Peter Niklaus Steiner als «Jesus Maria» in professionellen, beherzten Händen liegt. Dies steht auch für die übrige Kreativ-Crew. Lüdeckes Sprache ist exakt und pointiert, furchtlos in ihrer Poesie und direkt.
In der Brisanz des Stoffs liegt auch das Potential für einen medialen Hotspot, mit dem die Aufführung in der Öffentlichkeit Aufsehen erregen und ihren Beitrag zur Völkerverständigung beitragen kann.